Elsa Sichrovsky Im Allgemeinen empfinde ich mich als vergebungsbereite und „nette“ Person; allerdings machte ich in meinem zweiten Studienjahr eine Erfahrung, die meine Fähigkeit zu vergeben auf die Probe stellte. Mein Kollege Matt und ich sollten zusammen einen Vortrag zum Thema „Moderne englische Literatur“ halten und Matt ging mir dabei von Anfang an auf die Nerven. Meine pedantischen und anspruchsvollen Arbeitsgewohnheiten standen in Konflikt mit Matts spontaner Herangehensweise an das Projekt. Zu geplanten Diskussionen kam er oft zu spät, und Details, die ich für wichtig hielt, ließ er gerne aus. Kurz und gut, er war oft zu spät dran, seine Teile unseres Projektes zu vollenden, trotz meiner zunehmend hektischer werdenden Erinnerungsmails. Nur drei Tage vor der Präsentation bemerkte ich, Matt hatte den Schlussteil noch nicht fertig, für den er verantwortlich war und ich konnte ihn nicht erreichen. Matt schickte mir schließlich nur wenige Stunden vor der Frist eine hastig formulierte Schlussfolgerung, entschuldigte sich und erklärte, er habe sich mit anderen Dingen beschäftigen müssen. Wie ich erwartet hatte, konnte unsere Arbeit den Professor nicht überzeugen und während er die vielen Fehler des Teams aufzählte, entbrannte meine Wut gegen Matt. Ihn aber schien es nicht aufzuregen und ich hörte von einem Freund, Matt finde, seine Sache gut gemacht zu haben. Da es keine Befriedigung verschafft, jemanden schroff abzuweisen, der sich keiner Schuld bewusst ist, blieb ich äußerlich höflich und bewunderte mich selbst, jemandem gegenüber großmütig zu sein, der es so wenig verdiente. Zwei Monate später, in einem anderen Kurs, sollte ich mit Celine an einer Präsentation über „Japanische Grammatik“ arbeiten. Ich glaubte, mein Bestes gegeben zu haben, aber während der F&A-Phase für unser Team wurde klar, ich hatte einige der Begriffe, die wir präsentierten, komplett missverstanden, und so bekam unser Team wieder eine schlechte Punktzahl. Ich erwartete Celines Verärgerung, stattdessen aber tröstete sie mich und half mir, die nötigen Veränderungen für die endgültige Version vorzunehmen. Celines Vergebungsbereitschaft brachte meine Seele in Aufruhr, stand sie doch in Kontrast zu meinem Groll gegen Matt. ![]()
Im Rückblick auf die letzten Wochen erkannte ich, wie ich Matt nicht wirklich vergeben und mich auch nicht zurückgehalten hatte, gegenüber meinen Freunden einige abfällige Bemerkungen über Matt zu machen. Matt war spät dran gewesen oder vielleicht auch uninteressiert, aber mir wurde schmerzlich klar, selbst ebenfalls ein unachtsamer Student zu sein, der ein Team zum Scheitern brachte. Ich hielt mich selber für tolerant und barmherzig, aber meine Reaktion auf Matt offenbarte etwas anderes. Obwohl ich Erbarmen nicht verdient hatte, gab Celine es mir freiwillig und ohne herablassend zu sein. Ich betete, ich möge durch diese Erfahrung etwas von der liebenden, demütigen Großzügigkeit des Geistes erlangen, die dem Wissen entspringt, wir sind alle fehlbar und brauchen alle die Vergebung unserer Mitmenschen.
Kunst © TFI. Text mit freundlicher Genehmigung von Activated Magazin.
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![]() Als die Türen sich schlossen, winkte Vanessa mir zu und ich beobachtetete den Zug, der mit einer sechsjährigen Freundschaft davonfuhr. Vanessa und ich trafen uns auf der High-School und unser gemeinsames Interesse, Geschichten zu schreiben und unser Beider Gefallen an Romanen, hatte eine unverwüstliche Freundschaft beginnen lassen, die alle Höhen und Tiefen der Teenagerjahre überstanden hatte. Nun hatte sie ein Stipendium gewonnen und ging ins Ausland, um ihre Studien fortzusetzen. Sie ließ mich zurück und ich musste versuchen, herauszufinden, wie es sich mit dem Gefühl leben lässt, den Boden unter den Füßen weggezogen zu bekommen. Natürlich war mir klar, eines Tages würden wir beide unser Zuhause verlassen und unsere eigenen Wege gehen, aber jetzt, da es geschah, war ich niedergeschlagen. In den ersten Wochen nach ihrer Abfahrt dämmerte mir, wie sehr ich von ihr abhängig gewesen war. Anstatt meine Zeit mit den verschiedensten Freunden zu verbringen, blieb ich in der sicheren Gegenwart von Vanessa und ein paar unserer gemeinsamen Freunde. Es war einfacher, die Ansichten von jemandem so beliebten und intelligenten wie Vanessa zu übernehmen, anstatt gegenüber anderen eigene Ansichten zu äußern. Zum Beispiel folgte ich immer Vanessas Meinung über lesenswerte Bücher oder Filme, die zu sehen es sich lohne. Obwohl es an sich nichts Schlechtes ist, loyal zu sein, stellte ich nun fest, ich hatte das persönliche Risiko einer eigenen Meinung vermieden und auch keinen eigenen Weg gesucht. Obwohl ich Vanessas Mut bewunderte, ihre gewohnte Umgebung zu verlassen und ihrem Traum zu folgen, fürchtete ich mich vor den emotionalen Turbulenzen, die das Erwachsenwerden mit sich bringen würde, und die ich ohne den Halt und die seelische Unterstützung meiner besten Freundin würde bewältigen müssen. Im ersten Jahr blieben Vanessa und ich in Kontakt, aber wie zu erwarten, entwickelten wir uns im Laufe der Zeit in unterschiedliche Richtungen. Es war herzzerreißend, die Hoffnung auf das Aufrechterhalten einer Freundschaft schwinden zu sehen. Jetzt im Rückblick sehe ich den Impuls zu meinem persönlichen Wachstum, den das Verschwinden Vanessas aus meinem Leben setzte. Ich war gezwungen, mir neue Freunde zu suchen, Fehler zu machen, mich selber wieder zu erheben und erneut auf meinen eigenen Füßen zu stehen. Sie nicht nach ihrer Ansicht fragen zu können, brachte mich dazu, mehr mein Herz zu fragen und Dinge selber zu durchdenken. Obwohl damals einsam und verloren, verstand ich, was Faraaz Kazi über Freundschaft schrieb: „ Manche Menschen verlassen dich, aber das bedeutet nicht das Ende deiner Geschichte. Es ist lediglich das Ende ihres Anteils an deiner Geschichte.“ Bild (angepasst) mit freundlicher Genehmigung von Freepik. Geschichte von Activated Magazin; mit Erlaubnis verwendet. |
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